9.9.13

Verpackungsallergie

In Wahlkampfzeiten kriegt man geschönte Oberflächen nur so um die Ohren gedonnert. Alle sind hübsch, gestylt, selbst weit jenseits der 80 wird man noch froh plakattauglich zurecht gephotoshopt (wobei nicht einmal vor nackten Oberkörpern halt gemacht wird). Alles kein Problem.

Alles aber mein Problem.  Mit einer schlicht-naturgetunten Wahrnehmung, wo ein Baum ein Baum ist, ein tränendes  Katzenauge ein tränendes Katzenauge, von Kohlweißlingen zernagte Krauthappeln von Kohl .... undsoweiter, geht mir die geschöne Wirklichkeit, die mir - kaum vom Berg herunten -  ins Gemüt träufelt, so was von auf die Nerven – im Wortsinn.

Die ständige Überreiztheit mit aufgepeppter Schönheit lässt sich in der Stadt und bei täglichem Internet- und Medienkonsum mit der Zeit wegblenden. Es müssen sich Filter bilden durch die permanente Durchsetzung mit wie-etwas-sein-soll (nämlich anders als in Wirklichkeit), durch das tägliche und minütliche Gezerre an uns, eine Abstumpfung der Sinne, die uns überleben lässt. Dadurch blenden wir aber auch aus, dass wir ständig belogen werden.  Spindi ist wahrscheinlich in echt NICHT so tatkräftig und schnittig, wie uns die Plakate weismachen wollen. Die glitzerige Luxusmode aus der Wienerin, die ich im Cafe Sperl durch blättere, wird möglicherweise in denselben verseuchten Schneidereien hergestellt wie die Billigsdorfer-Jeans. Die glücklichen Kühe auf der blühenden Wiese vom Milchpackerl stehen das ganze Jahr im Stall (und fressen vergorene Silage) (die greulich fäult). Der buttergelbe Käse auf der Packerl-Pizza wird aus Wasser, Milch-, Soja- oder Bakterieneiweiß, Pflanzenölen, Stärke, Emulgatoren, Aroma- und Farbstoffen, Salz und Geschmacksverstärker hergestellt. (Kunstkäse, schmatz.)




Wir verwechseln immer mehr außen mit innen. Wir glauben gediegenen, hochwertigen Verpackungen, griffigen Slogans mehr als unserem - haha - Hausverstand. Wie bio können all die Tonnen Gemüse, Fleisch, Käse etc sein, die täglich frisch in die Supermarktregale geleert werden? Wieviele knackige, engagierte Ursprungsbauern müsste es geben, damit hinter der schönen Biofassade tatsächlich alles stimmt? Wir glauben, weil es zu anstrengend ist, ständig alles zu hinterfragen. Wir wollen nicht bei jedem Einkauf in zynische Verzweiflung verfallen. Wir wollen, dass die Welt von Vernunft getragen ist, dass wir tatsächlich eine kluge und lernfähige Spezies sind, dass wir es schaffen werden, diesen Planeten nicht vollends zugrunde zu richten.
Naja. Eine besonders infame Abart von Verpackungsallergie befällt mich, wenn ich die Grünen im Wahlkampf agieren sehe. Das ist - laut ihrem Wahlprogramm - eine Partei, die sich obiger Vernunft verschrieben hat, die für gesunde Böden, gesunde Natur, gesundes Essen, gesunde Politik eintritt. Alles schön. Alles wahr. Alles wichtig. Wenn man sich den Zustand von Planeten, Tierwelten, Landwirtschaft, Lebensmittelindustrie, plus der enormen Medienpräsenz von all dem anschaut, müsste eine Partei mit einer dermaßen vernünftigen Ausrichtung und ohne Korruptionshistorie die Absolute schaffen. Oder?

Nur: Welcher sadistische Wahlkampfstratege setzt die Eva auf eine Spielplatzbank und lässt sie tantenhaft den HC oder - wahnsinnig lustig - Hatschi, belehren, dass er die fremden Kinder nicht vertreiben darf? (zum Video) Auf meinen Protest bekomme ich die Antwort, die Grünen wollten neue Wählergruppen erschließen und Studien hätten gezeigt, dass es so funktionieren könne. Äh. Wie alt sind die neu zu erschließenden Wählergruppen? Sieben? Hier ist es genau andersrum: Eine bobohafte, strikt urban-witzige, standhaft das Erwachsen-werden-vermeidende Verpackung vergrault alle potentiellen Wähler, die mit dem haha-sind-wir-jung-spaßig-gegendert-und-cool-Schmäh genau gar nichts anfangen können. Wie kann ich jemanden wählen, für dessen Auftritt ich mich in Grund und Boden genieren muss und dessen (macht-)politische Kompetenz ich nur anzweifeln kann? (Ach, Herr van der Bellen ...)



Verpackungen sind Müll, hier wie dort. Verpackung ist oft Kunststoff, Folie, giftig, mit Quecksilber bedruckt, oft unehrlich, meist unnötig, schummelt mit Gewichten und Größen.

Wirklich notwendige Politik im Sinn von alltäglichen Handlungsweisen verzichtet auf Verpackungen, wo nur möglich und auf allen Ebenen. Weder verpackt man sich selbst (in monatlich wechselnde Modetrends, Freizeit-Gear, Elektrospielsachen und Konsumgüter aller Art), noch sein Angebot (in schrille heiße Werbeluft), sein Essen (muss nicht, wenn's aus der Region, aus dem Biokistl, aus dem Garten kommt), seine Kommunikation (in leere Meinungshülsen), noch glaubt man den Verpackungen, die einen umschwirren und stellt sich als Wirt für Trends und Konsum zur Verfügung.

Vielleicht ist es das Alter, aber immer mehr sind historische Dokumente (also Filme) aus den Siebzigern wahrer Balsam fürs Auge: Wo die mediale Lügenmaschinerie noch in den Kinderschuhen steckt und Menschen, Straßen, Autos, einfach ganz unverpackt so ausschauen wie sie ausschauen (schiach, aus heutiger Sicht) - zum Beispiel die legendären Kottans mit den noch legendäreren Autotür-Szenen

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