15.7.13

Prozesse, Zyklen, Handgriffe


Auf das Flache des letzten Artikels (Flatscreen, Flatlife usw) muss unbedingt wieder etwas Rundes folgen. Das Leben also, mit alles. Wenn es etwas gibt, was der Flachheit gnadenlos zum Opfer fällt, dann sind es lange Prozesse. Etwas von Anfang bis Ende. Denn was mache ich: Ich schalte das Ding ein, ich schalte es wieder aus (manche tun das auch gar nicht mehr). Ich schaue in den Schirm, etwas passiert vor meinen Augen, ich bin betroffen, geistig angeregt, irritiert, gelangweilt, abgelenkt. Das wars. Sicher, ich arbeite und es gibt auch eine Art von Prozess, aber auf meinen Geist reduziert. Ansonsten sitze ich, die Finger klappern und tippsen herum, sehr bald bewege ich mich kaum mehr, und die Atmung wird auch - flach.

Ein echter, lebendiger Prozess lässt sich anhand Milch aus dem Supermarkt (immer gleich, kontrolliert, ultrahocherhitzt, herumgefahren, von medikamenten-gefüllten Hochleistungskühen usw.) im Vergleich zu echter Rohmilch vom Bauern erkennen. Wir kaufen die Roh-Milch also, der Anfang ist gleich. Dann aber wird aus vier Litern Milch:


1l Joghurt
ca. 150g Frischkäse
Molke mit Marmelade zu Ur-Latella verschüttelt
Rahm
wenn wir einmal so richtig cool sind, wird aus dem Rahm regelmäßig Butter ;) plus Buttermilch
Milch für den Kaffee
Milch, die sauer wird
daraus Topfen oder ein Mozarella-artiger Käse
wieder Molke, diesmal zum Brotbacken oder für eine Knoblauchsuppe


Und vor allem: KEIN Verpackungsberg, und wenn wir artig sind, gehen wir 20 Minuten zu Fuß.


Faszinierend (und eine absolute Schnarch-Erkenntnis für jeden Bauern) ist die ständige Verwandlung der Milch. Es geht immer weiter und es ist nie zu Ende, selbst das letzte allerletzte Endprodukt ist noch für etwas gut und schmeckt auch! Milch aus dem Supermarkt, selbst Bio-Milch, wird nach einiger Zeit einfach nur geradeaus ekelhaft. Der Prozess, das Fermentieren, Vergären, Säuern, ist schon längst abgetötet, es gibt statt des Kreislaufs nur eine Sackgasse. 

Ein wirklicher Prozess ist natürlich nicht nur hübsch und stets anregend. Es braucht für die obige Liste eine Menge Handgriffe, viel Zeit und eine gewisse Ausstattung, von der Milchquelle und der Küchengröße abgesehen. Es erfordert Geduld und Experimentierlust, denn die Milch kann auch zu einem zementharten Klumpen hin-prozessieren, der nach nichts schmeckt, oder das Käsetuch so verkleben, als hätte eine Schulklasse ihre Kaugummis entsorgt. Prozess ist ständiges Lernen, ist gleich Zeit, ist ein Auf und Ab von angenehm (den Frischkäse kosten) zu unangenehm (das Tuch sauber kriegen), von warten (Joghurt in der Wärmekiste) zur Belohnung (Topfenpalatschinken!). Bei all dem ist es ungeheuer befriedigend (wahrscheinlich im Ausmaß der investierten Energie) und selbstverständlich klopfen wir uns selbstgefällig auf die Schulter: keine Berge von Joghurtbechern, Schlagobersbechern, Milchpackungen and so on!

Immer wieder stoßen Menschen in den Kursen, beim Zeichnen, Filzen und Malen, an die Grenzen ihrer Geduld - das müsste doch alles viel schneller gehen und mir immer gefallen! Im Gespräch stellt sich dann oft heraus, dass es keine Übung in Prozessen mehr gibt; wenn alles immer gleich schön und fertig zu haben ist, verlieren wir ein wirkliches Fingerspitzengefühl, ein Bauchwissen, wann was angemessen ist, wann gewartet, angeschoben, durchgehalten, ausgeruht werden muss. Langeweile, körperliche Plagerei, Misslingen und Korrigieren - das sind Elemente in Herstellungsprozessen, die wir tendenziell, um es böse und überspitzt zu sagen, ein wenig in den Südosten unserer Welt verlagert haben. 

Wir und unsere Werke sind auch wie die Milch, es wird immer etwas aus etwas, wenn die Bedingungen passen und wir nur dran bleiben! Allein, mit dem Faktor Zeit, da fehlt uns oft der richtige Umgang. Die Zeit wird, wenn sie überhaupt ins Bewusstsein dringt, lediglich als diffuser Druck erlebt. In Prozessen und Zyklen zu Hause zu sein heißt sich Zeit nehmen (aktiv), Beobachten zu lernen, heißt sich den Naturgesetzen unterzuordnen, und wird reich belohnt: mit einer - ohweh Kitsch - liebenden Einheit mit den Dingen, mit Pflanzen, Material, Lebewesen. Wer gut malt, benutzt den Pinsel wie einen Teil seines oder ihres Körpers, schmeckt die Farben und fermentiert alles zu einem Werk, das direkt aus dem Selbst entsteht. Beim Kochen, Möbel bauen, Auto reparieren, Gold schmieden, überall geht es in jeder Sekunde um den richtigen Druck, den richtigen Winkel, die richtige Menge, stimmige Verhältnisse, das genaue Maß, das passende Werkzeug, die wohlwollende Umgebung. 

So verschwimmen die Grenzen zwischen Kunst, und Handwerk, und Haushalt, und Werkstatt und im besten Fall Arbeitsplatz. In jedem Bereich kann ich mit höchster Kunstfertigkeit agieren, Malerei inspiriert die Kochkunst und umgekehrt, die Konstruktion eines Filzwerks entspricht dem Entwurf eines Möbels. In allem wirkt dieselbe Vorstellungskraft, dasselbe Vertrauen in den Prozess, diesselbe Frusttoleranz und Ausdauer, und mit jedem Zyklus werden wir besser!

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