15.7.13

Mehr und besser und noch mehr und zuviel

Echte Zaunwinde (Calystegia sepium subsp. sepium)
Die Zaunwinde - was sie hier tut, steht weiter unten.
Bildquelle: Wikipedia


Wir haben erst jetzt einen Ausschnitt des "Kleinen Hobbits" von Peter Jackson gesehen - irgendwie ist er an uns vorbeigegangen, obwohl wir große Herr-der-Ringe-Fans sind, sowohl filmisch als auch bücherlich. An diesem Ausschnitt nun lässt sich ganz hervorragend ein Prinzip studieren, das uns und die Welt vielerorts durchseucht. Es ist das evolutionär vielleicht sinnvolle, aber in Wirklichkeit hoch anstrengende Angetrieben-Sein zu MEHR-BESSER-COOLER-FORTSCHRITTLICHER-NEUER-EDLER-STYLISCHER USW. 

Der Hobbit ist so kristallklar, so echt, so farbentreu, so unfassbar präzise gefilmt - dass er schier in den Augen weh tut. Er ist zuviel, zuviel der Farben, zuviel des Guten, so wie das trocken gereifte Schweinsfilet mit Olivenöl-Ampulle, das mir kürzlich auf Profil-Lifestyle-Pfaden begegnet ist. Äh. (Das erinnert mich an ein Essen in einem super-schicken-hochgelobten-Fresstempel in der Nähe von Stuttgart: Als die Dame fertig war mit ihrer bühnenreifen Aufzählung, was wir alles an was und woher jetzt gleich zu uns nehmen werden würden, war das Essen kalt.) Sicher will der Mensch gut essen und natürlich ist es toll, wenn sich jemand mit Nahrungsmittel-Qualität auseinandersetzt. Keine Frage. Aber wann ist der Bogen überspannt? Wann ist genug? Ist es je genug? Wer verdient an genug? Was, wenn wir alle meistens zufrieden wären mit dem, was wir besitzen? 


Das Bessere ist der Feind des Guten, heißt es richtig, und da nicken wir dazu, freilich, das ist klar. Trotzdem. Im Wochenrythmus prasseln kleine Meldungsstiche auf uns ein, die uns darauf hinweisen, dass wir noch gesünder, besser ernährt, psychisch ausgewogener sein könnten. Sind wir krank, sollen wir uns entspannen und es annehmen und und noch richtiger ernähren. Haben wir ein Auto, gibt es ein sparsameres, energieeffizienteres, sichereres, familientauglicheres. Das gleiche gilt für Eiskästen und Waschmaschinen. (Von Handys und Tablets und iPads ganz zu schweigen.) Im Beruf müssen wir uns fortbilden und überall hinziehen und Mobbing angemessen begegnen und sehr oft immer sehr gut drauf sein, ob wir wollen oder nicht. Sind wir Künstler und/oder Selbständige, hocken medial die vor unserer Nase, die "es geschafft" haben, die gefeatured werden, die mit grandiosen Ideen bekannt werden. Essen wir eh schon biologisch, geht es noch reiner, natürlicher, konsequenter - immer! Dürfen wir noch schwach sein? Fehler machen? Und dürfen wir damit selbst zurecht kommen, oder brauchen wir ein Heer von Beratern?? 

Die weltumspannende Kombination aus Technologie und Profit hat eine erbarmungslose Rennstrecke ausgelegt, deren Ende sich viele nur als einen grandiosen Crash ausmalen können. Wo endet das wirklich? Und wie? Die Gerade vor uns, mit ihrer irren und zunehmenden  Geschwindigkeit ist ein ganz anderes Szenario im Kopf als die zyklische Welt der Kreisläufe und Prozesse. Ich arbeite, ich halte durch, ich bin fertig, ich freue mich, ich ruhe. Der Same keimt, wächst, wir ernten, manches gelingt nicht, der Rest verrottet auf dem Kompost. Wir sind klein, wir wachsen heran, wir sind groß, wir altern, wir werden etwas schwächer oder sehr, wir sterben. Wir sind froh, verwirrt, traurig, unruhig, beglückt, verliebt, einsam - alles! (Und das dürfen wir, ohne nach zwei Wochen Trauer um einen geliebten Menschen mit Antidepressiva vollgestopft zu werden!) Wie gelingt es uns, wieder zu kreisen, vor und zurück, hinauf und hinunter, das Helle und das Dunkle, das Tolle und das Unangenehme, alles zu erleben und auszuhalten? Wie widerstehen wir diesem unglaublichen Zug nach vorne geradeaus? Wie können wir aus dem gnadenlosen Aktionismus aus Handy-Alarm, Projekt-Stapeln, Präsentations-Druck aussteigen?

Konzerne wie Monsanto waren in den letzten Monaten in aller Munde, vor allem rund um die Saatgutdebatte in der EU*. Ein so großer Player kann eine Menge Zug und Schub auf der Gerade bewirken. Damit ihm das gelingt, braucht es Millionen von Konsumenten und Innen, die ihm ihre Geldströme zukommen lassen. Auf einer öffentlich-politischen Ebene kann es also eine gute Strategie sein, zu überlegen, solchen Konzernen die Kaufkraft zu entziehen** und gleichzeitig diese Kaufkraft auf die kleinen Betriebe, die greifbar sind und in ihren Handlungen nachvollziehbar, umzulenken. Dazu gehört natürlich auch, sich zu artikulieren und alle Petitionen zu bemerken und zu unterzeichnen, die zu diesen Themen zirkulieren.***

Im Inneren gibt es hauptsächlich Eines: Ruhe geben. Das klingt nach nichts, ist aber ein aktiver Prozess. Ich gebe Ruhe. Wann immer mir etwas zu alt, abgeschabt, unmodern, zu uncool, zu wenig, zu unspektakulär vorkommt: Ruhe geben. Hier sind die Startlöcher für die Rennstrecke - hier ist der Ort, wo ich bin und wo es ist, wie es ist. Meine Wahl. Ruhe kann ein trügerischer Begriff sein, als wär alles still und fad, Ruhe ist aber in den heftigsten Situationen vonnöten, in kleinen alltäglichen Unannehmlichkeiten, in großen Umbrüchen des Lebens und immer eine aktive und zu erkämpfende Entscheidung. Wenn ich Ruhe gebe (mir und meiner Umgebung), habe ich Boden unter den Füßen. Wurzeln in der Erde. Ruhe geben beginnt in den Gedanken, setzt sich fort ins Gemüt und hilft, alles Langsame, Widrige, Stachelige des Lebens auszuhalten und vielleicht sogar willkommen zu heißen. 

Ein schönes Gegenmittel für unseren fortstrebenden Perfektionismus ist Gartenarbeit. Man ist nie fertig, man hat es immer mit vielen widersprüchlichen, schleimigen, kratzigen, brennenden Gegenspielern zu tun; wo man aufgehört hat zu jäten, kann man nach zwei Tagen wieder anfangen. Es dauert und dauert und ist endlos, es ist immer was zu tun, es ist nie makellos, es dreht sich im Kreis und wirft doch herrliche Mahlzeiten ab - CO² neutral, Gift-frei, Konzern-frei. (denn dass zB Roundup in einem Garten nichts verloren hat, versteht sich von selbst! Wir wollen das ja essen!). Und kaum überkommen einen Fantasien von Es-Schaffen-Können oder dem idyllischen Traum-Garten, tritt sie auf den Plan: die Zaunwinde! 


Die Zaunwinde, Calystegia sepium, wächst in unserem Garten an gefühlten vier Milliarden Stellen, und wo sie noch nicht wächst, bereitet sie sich darauf vor. Sie kann aus kleinen zerhackten Wurzelstücklein eine komplette Pflanze bilden, sie wächst auf Erdhaufen, die mit dicker, dichter Folie abgedeckt sind (darunter, ich schwöre, gibt es kleine saftig-grüne Zaunwindenbabies, die ohne Licht, Wasser, und Luft gedeihen können). Sie kann sich selbst bestäuben und ihre Kapselfrüchte können bis zu 33 Monate schwimmen, bis sie wieder irgendwo froh Fuß fassen. Will man sie jäten, reißen die Wurzeln in der Erde ab, will man sie ausreißen, gehen die umschlungen Pflanzen oft mit zugrunde. Die Zaunwinde dreht sich immer linksherum um alles, was wächst, wie ein Derwisch, oft vier- oder mehrfach, und oft so schnell, dass die Gartentür am nächsten Morgen schon zugewachsen ist. Ich müsste sie hassen, aber ich habe mich entschieden ihr demütig zu begegnen, sie für ihre zähe Hartnäckigkeit zu verehren und ihr zu danken: Weil sie eine stetige Erinnerung ist, dass ich "es" nicht schaffen kann und werde, weil sie mich zur Arbeit an meinen eigenen wuchernden Gedankenwindungen mahnt und ich mich mit ihr für lange lange Zeit kreisend, kreiselnd, im Lauf der Jahreszeiten fortbewegen werde. Irgendwie friedlich. 

* hier gibt es zumindest kleine Erfolge, wenn schon nicht große: Global 2000
** Hier ist eine Liste von Firmen, die Produkte von Monsanto verwenden  https://www.dropbox.com/s/xl6a5rmeourvppd/monsanto.pdf. Hier: http://www.poppelsdorfer.de/download/greenpeace.pdf etwas über Gentechnik, und hier ein prägnantes Flugblatt vom Münchner Umweltinstitut: http://umweltinstitut.org/lebensmittel/allgemeines-lebensmittel/infokampagne-zur-agrarluge-1127.html Viel Vergnügen beim Suchen nach Ersatzlösungen ;)
*** zB auf www.avaaz.org und www.campact.de

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