13.9.12

Recycling – spießig, spaßig, zukunftsweisend?

Vor einiger Zeit habe ich in einer Glanzzeitschrift einen flammenden Artikel gegen das Selbermachen gelesen. Auch in anderen Medien wird das  Do it Yourself gerne von oben herab als spießig geschmäht – was solle man bitte schön noch alles tun? Man arbeite ja schließlich, verdiene Geld und darum kaufe man sich, was man eben so braucht. Zudem solle man das Selbermachen Profis überlassen, dann sähe das Ergebnis auch nicht so peinlich und kläglich aus, wie bei den privaten Möchtegern-Handwerklern.

Jetzt bin ich natürlich soundso die falsche Adresse für diese Botschaft, weil...

ich das Selbermachen liebe, davon lebe und immer wieder erleben darf, wie viel es Menschen bringen kann, wieder etwas selbst mit den eigenen Händen herzustellen. Und abgesehen davon, dass der Ton der erwähnten Artikel meist unerträglich schnöselhaft-besserwisserisch ist, denke ich doch, dass es hier tiefgründigere Aspekte zu bedenken und beachten gibt.

Vor wenigen Jahrzehnten noch hat ein großer Teil der Bevölkerung in unseren Breiten mit den eigenen Händen gearbeitet. Ich will diese Zeit beileibe nicht romantisieren, aber ich denke, dass wir bei allem Komfort-Gewinn doch einen großen Verlust erfahren haben. Ähnlich wie die Arche Noah in Schiltern sich bemüht, alte Sorten von Obst und Gemüse zu erhalten, wäre es hoch an der Zeit, dass wir das enorme Wissen des Handwerks in seiner Vielfalt erhalten. Wer von uns kann eine Hose nähen? Fisch räuchern? Einen Schrank bauen? Ton formen und brennen? Spinnen, weben, stricken, häkeln? Können wir Eisen bearbeiten, Holz drechseln, Schnaps brennen? Holzkohle herstellen? Wer weiß, welches Holz wann für welchen Zweck geschlagen werden muss? Wie geht das – einen Baum fällen? Wer weiß, was ich wo im Garten pflanzen muss, damit es beste Erträge gibt? Wie lagere ich die Ernte dann ein – eventuell ohne Tiefkühler? Können wir Papier herstellen, eine Schreibfeder oder Tinte? Wer kann Fotos entwickeln auf Papier? Wie heile ich Krankheiten ohne Pharma-Industrie?

Wir haben – fast ohne es zu bemerken - einen großen Teil unserer lebenserhaltenden Kompetenzen abgegeben. Das geht weit über schrulliges Basteln und Selbermachen hinaus, aber genau dieses schrullige Basteln kann der erste Schritt hin zu einem neuen Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten sein. Hier bietet sich Recycling von bereits vorhandenen Dingen aus mehreren Gründen an.
Ein sehr zeitgemäßer und wahrscheinlich zukunftsweisender Grund ist der Umgang mit Rohstoffen und menschlicher Arbeitskraft. Wir gehen davon aus, dass es alles immer geben wird, doch “alles” und “immer” ist nicht nur in der partnerschaftlichen Kommunikation verpönt. Dass wir eine Verbrauchergesellschaft im eher übleren Sinn sind, dürfte schon allgemeiner Konsens sein. Dass es sehr wahrscheinlich irgendwann in nächster Zukunft kein kostengünstiges Erdöl mehr geben könnte, beweisen die immer waghalsigeren und verzweifelteren Versuche der Ölgesellschaften, die tief im Ozean mit den bekannten Risiken oder im ölhaltigen Sand Kanadas unter immensem Kostenaufwand nach unserem Lebenssaft schürfen. Dass es ethisch zumindest bedenklich ist, alle Jahre wieder ein neues Elektrospielzeug zu bekommen, zeigen die Berichte über die Selbstmorde der Arbeiter in chinesischen Zulieferer-Fabriken, die für westliche Firmen produzieren. (hier die Liste fortsetzen mit Textilien, Spielzeug, Schuhen etc.)

Es scheint also moralisch korrekt, den Verbrauch zu senken und das, was ich bereits besitze, wo möglich mehrfach zu nutzen. Da wir ja ästhetisch verwöhnt sind, lässt sich der Wunsch nach Neuem auch durch Verwandlung des bereits Vorhandenen befriedigen. Ich habe eine IVAR-Regalkombination, die genauso alt ist wie meine Tochter (Ende zwanzig) und in ihrem Leben schon mindestens 4 verschiedene “Looks” hatte. Jetzt gerade dient sie in rot als Büro-Schreibtischvariante – perfekt. Auch im textilen Bereich lässt sich Einiges machen – eine Nähmaschine und ein bisschen Können vorausgesetzt. Aus zwei T-Shirts mach eines, eventuell noch mit Stoffdruck oder Schablonen oder Stickereien verzieren: da es keine ehernen Moderichtlinien mehr gibt, habe ich hier viel Freiheit und kann (wenn ich kann) mir mein Gewand passgenau auf den Leib schneidern, statt mich in Designs für spanische Magersüchtige zwängen zu müssen.

Recycling ist so auch Spaß, denn wenn ich mir meine Umgebung genau so gestalten kann, wie sie mir passt, und wenn das dann auch noch sehr wenig kostet (im Sinn von Geld, Ressourcen, Transportwegen) und höchstens meine eigene Arbeitskraft ausbeutet, mich dafür aber stolz und froh macht ob des Geschafften: dann habe ich Genuss pur! Und: ich verliere unter Umständen die Angst davor, weniger oder wenig Geld zu haben. Recycling macht ein bisschen unabhängiger, denn die Angst vor wenig Geld ist ja meist auch die Angst davor, die Würde zu verlieren. Schönheit und Würde hängen zusammen: wer arm ist, kann sich nichts leisten, muss in alten oder kaputten Sachen herumlaufen, wird also als “Arm” sichtbar. Wer Schönheit und Würde auch mit wenig Geld bewahren kann, täuscht nicht vor, dass er Geld hat, aber er zeigt, dass Geld nicht alles ist. Dazu braucht es Können, Ideen und Mut. In der Literatur gibt es viele Geschichten über Armut als Abstieg und über Armut als würdevollen Weg – nicht sorgenfrei, aber auch nicht bodenlos.

Recycling – in den Kreis zurück bringen – ist also nicht nur ein schönes Wort, sondern auch eine gute Tat. Ein Akt der Wertschätzung eines Dings, seiner Geschichte, der Menschen, die es hergestellt haben, der Rohstoffe, aus denen es besteht.

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